Der neue Trend

Alkoholfreie Destillate

Destillate ohne Alkohol, klingt schräg, aber genau das ist der neue Trend

Der neue Trend in der Getränkeindustrie, insbesondere bei einigen Startups, grossen internationalen Craft Destillateuren und neuerdings auch einigen Schweizer Brennereien heisst Neudeutsch “non alcoholic distilled spirits”. Anders ausgedrückt: Alkoholfreie Destillate.

Im Rahmen des drittgrössten Food Festivals Europas mit über 100 Events in und um Zürich organisierten Patrick Zbinden und das Schweizer Schnaps Forum unter dem Motto «Alkoholfreie Spirituosen- Alternativen im Vergleich» einen interessanten Event zu diesem aktuellen Thema. Passend war auch das diesjährige Leitthema der Food Zürich 2022 mit dem sinnigen Titel «kulinarische Zukunft», welche ja uns alle betrifft.

Der Event war mit 25 sehr interessierten Personen restlos ausgebucht. Interessant festzustellen war auch, dass bei Anlässen des Schnaps Forum normalerweise Herren dominieren. Hier war es genau umgekehrt. Zwei Drittel der Teilnehmer waren Frauen. Hervorragend geleitet und sachlich dokumentiert wurde die Verkostung nebst Patrick Zbinden von Alex Armbrüster, Profibarkeeper und Leiter der Barfachschule Zürich. Am anschliessenden Talk beteiligt waren der Leiter Patrick Zbinden und die beiden Hersteller Janick Planzer, Co-Founder von Revels und Pascal Jürgens, Geschäftsführer von 9 Meadows.

Einführung:

Aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit und Innovation sind uns bekannt. Klären wir aber zuerst einige aktuelle Begriffe, welche in diesem Artikel vorkommen und für einige von uns sicher neu sind:

Sober curious

Kein Alkohol, aber trotzdem gut gelaunt: nüchtern und neugierig.

No und Low-ABV-Cocktails

Drinks ohne Alkohol und Drinks mit wenig Alkohol. ABV steht für alcohol by volume und gibt den Alkoholgehalt eines Drinks an. Das heisst, die gesamte Menge Alkohol, die man für jeden Low-ABV-Drinks ausrechnen sollte.

Mindful Drinking

Der bewusste Alkoholkonsum. Dabei geht es nicht um Verzicht, sondern um das Bewusstsein für das eigene Trinkverhalten. Das hat auch mit dem wachsenden Interesse an Gesundheit, Wohlbefinden und Fitness zu tun.

RTD

ready to drink, deutsch trinkfertig. Zum Beispiel trinkfertige Mixgetränke, Konserven, Fruchtkonzentrate, Eistee usw.

Mocktails / Virgin Cocktails

Abkürzung für „Mock Cocktails“, Alkoholfreie Cocktails werden auch Mocktails genannt, zusammengesetzt aus Cocktail und dem englischen (to) mock, also vortäuschen, nachahmen.

Day Drinking

Trinken von alkoholischen Getränken am Tag. Bezieht sich in erster Linie auf Spirituosen.

ADS

alkoholfrei destillierte „Spirits“

Hybride

Die Kombinatorik aus alkoholischen und alkoholfreien Destillaten

Historisches

1998: Whissin (erster alkoholfreier «Whisky»)

2011: erste «alkoholfreie Destillate» des amerikanischen Herstellers ArKay

2015: Seedlip (Spice 94, Garden 108, Grove 42) Inhaber, Vorreiter und Pionier in der Branche         in der Kategorie alkoholfreier Destillate ist fraglos der Brite Ben Branson.

2018/2019: z.B. Stryyk, Fluère, Everleaf und Lyre’s

2019: Diageo (Smirnoff, Johnnie Walker, Guinness) kauft Seedlip

2020 Non-alcoholic Martini (Bacardi)

Alkoholfreie Spirituosen nüchtern betrachtet

Spirituose leitet sich vom lateinischen ‘spiritus’ (Geist) ab und meint ein alkoholisches Getränk. Eigentlich schliessen sich die Wörter «alkoholfrei» und «Spirituose» ja gegenseitig aus. Denn Spirituosen werden in der Verordnung des EDI über alkoholische Getränke, Art. 45 Spirituosen, als alkoholische Flüssigkeiten definiert, die eine Trinkstärke von mind. 15% vol. besitzen. Da trifft es das Wort «alkoholfreies Destillat» schon etwas besser: Denn ein Destillat kann, muss aber keinen Alkohol enthalten. Die Destillation ist ein thermisches

Trennverfahren, bei dem flüssige Stoffe erhitzt werden, verdampfen und sich bei der späteren Kondensation wieder verflüssigen. Wenn eine Brennanlage also mit einer Flüssigkeit gefüllt wird, welche zuvor nicht vergoren wurde, gewinnt man statt einer Spirituose ein alkoholfreies Destillat. Dieses kann beliebig mit Aromen angereichert werden. Oder anders gesagt, ein Kräuterwasser aus der Brennblase. Aromen wie Zitrusfrüchte sind sehr gut wasserlöslich, andere, wie Wacholderbeeren sind nicht wasserlöslich.

Herstellung

Grundsätzlich ist zu sagen, dass es nach wie vor eine Tatsache ist, dass Alkohol, Fett und Zucker die Geschmacksträger sind. Gerade Zucker ist aber bei diesem neuen Trend ein absolutes No-Go und eigentlich ein Todfeind für Drinks dieser Zielgruppe.

Das genaue Verfahren von alkoholfreien Destillaten unterscheidet sich von Betrieb zu Betrieb und Getränk zu Getränk. Für die Herstellung dieser sollten aber ausschliesslich natürliche Rohstoffe in höchster Qualität und Reinheit verarbeitet werden. Das ergibt natürliche, alkoholfreie botanische Getränke ganz ohne künstliche Aromastoffe, Süssstoffe oder Zuckerzusatz. In der Produktion werden traditionelle Dampfdestillation mit einem innovativen Verfahren zur Herstellung ätherischer Essenzen kombiniert oder aber man setzt auf eine doppelte Destillation, einmal mit Wasserdampf und einmal im Vakuum. Dabei können in kleinen Batches aus ausgewählten Botanicals wie altbekannte Kräuter und Gewürze, die in regionalen Feldern und Wäldern ihr Zuhause haben zusammen mit ausgewählten Pflanzen aus der Ferne einzigartige Destillate entstehen. Diese werden zu harmonisch leichten, komplexen und unverwechselbaren Blends verbunden. Viele Hersteller versuchen den adstringierenden Effekt von Alkohol zu ersetzen. Das machen sie meistens mit Bitternoten und Schärfen.

Vorteile von alkoholfreien Destillaten

  • Es ist salonfähig geworden, auf Alkohol zu verzichten.
  • Ein Lebensretter in sozialen Situationen.
  • Der Trend ist noch jung, hat aber bereits viele Protagonisten
  • Ohne Kater am nächsten Tag starten.
  • Kein Filmriss, kein Kontrollverlust, keine Konzentrationsschwierigkeiten.
  • Keine negativen Auswirkungen von Alkohol auf den Körper wie Leberschäden, Flüssigkeitsverlust, Schädigung des Hirns etc.
  • Auf dem Schweizer Markt besteht ein grosses Interesse an alkoholfreien Spirituosen. Die Zielgruppen sind vor allem Menschen, die sich Bewusst verhalten und auch beim Konsum von Alkohol zurückhaltenden sind. Dies betrifft auch insbesondere Personen, welche Auto fahren müssen, schwangere Frauen aber auch Menschen, welche aus gesundheitlichen Gründen auf Alkohol verzichten müssen.
  • In weiten Teilen Asiens und Arabiens spielt kulturbedingt Alkohol im gesellschaftlichen Leben praktisch keine Rolle.
  • Alkoholfreie Destillate lassen sich dem Kunden gut vermitteln. Auf jeden Fall leichter als eine kompliziert selbst hergestellte Essenz.
  • Die Kategorie alkoholfreie Spirituose ist ein modernes Lifestyle-Erzeugnis, mit dem sich wunderbar spielen lässt.
  • Mittlerweilen gibt es Barkeeper, welche der Barkarte eigens einen Raum für Kreationen mit alkoholfreien Destillaten geben.
  • Das Interesse an alkoholfreien Destillaten wächst. Es ist keine reine Modeerscheinung mehr, sondern man gibt einem gesundheitlichen Trend etwas Neues in die Hand.
  • Die Akzeptanz für das Segment alkoholfreie Spirituose wächst, je eindeutiger eine Bar und die Betreiber eine Haltung zur Genusskultur einnehmen.
  • Es wird weniger, bewusster, qualitätsbewusster getrunken. Hierzu können auch alkoholfreie Spirituosen einen Beitrag leisten.
  • Neue alkoholfreie Alternativen bieten erwachsene Trinkkultur ohne Rausch an.

Nachteile von alkoholfreien Destillaten

  • Beliebte Spirituosen wie Gin, Rum, Liköre und Whisky werden nur nachgeahmt. Es ist kein Eins-zu-eins-Ersatz, sondern eine alkoholfreie Annäherungen an die hochprozentigen Verwandten, die durchaus auch andere Aromen mitspielen lassen.
  • Es sind aromatisierte Wässerchen für viel Geld.
  • Um den fehlenden Alkohol zu ersetzen, muss das Destillat z.B. mit der Zugabe von ein wenig Chili imitiert werden.
  • Alkoholfreie Spirituosen können die Originale niemals ersetzen.
  • Produzenten von alkoholfreien Destillaten setzen auf das Prinzip “Weglassen”: Kein Alkohol, kein Zucker und keine Konservierungsstoffe. Eigentlich ein gutes Konzept, welches aber dazu führt, dass die Haltbarkeit von angebrochenen Flaschen sehr gering ist. Man spricht hier von zwei bis sechs Wochen.
  • Um eine gewisse Haltbarkeit zu erreichen, werden Konservierungsstoffe hinzugefügt oder aber die Destillate müssen pasteurisiert werden. Dennoch schimmeln angebrochene Flaschen nach einigen Wochen weg.
  • Alkohol besitzt einen gewissen Eigengeschmack, den man nur sehr schwer nachahmen kann.
  • Hersteller weisen darauf hin, dass ihre Produkte lediglich einen “ähnlichen” Geschmack haben und auch nicht zum puren Konsum gedacht sind.
  • Neue Konsumenten müssen in dieses wichtige Thema eingeführt werden. Ferner muss in der Branche noch einiges an Aufklärungsarbeit geleistet werden.
  • Viele Produkte haben mich bisher noch nicht überzeugt und sind zu teuer, zumal darin keine Alkoholsteuer enthalten ist.
  • Momentan finde ich die Produktion zu intransparent und an den Produkten bisher kaum ein Aroma, das neu wäre. Es fehlt mir einfach an Volumen am Gaumen.
  • Das Wasser hat am Ende nicht genug Aroma aus den pflanzlichen Rohstoffen und wird daher bei vielen Produkten mit zusätzlichem Aroma angereichert.
  • Verschiedene alkoholfreie Destillate wirken eher wie ein Design-Getränk und nicht wie ein natürliches Produkt.
  • Design und Namensgebung erinnern oft stark an das Original, der Inhalt der Flasche ist davon aber weit entfernt.

Nach dem theoretischen Teil nun aber endlich zu den alkoholfreien Spirituosen- Alternativen im Vergleich

Alkoholfreie Spirituosenalternativen boomen, obwohl es gelinde gesagt schwierig ist, Gin, Whisky, Rum & Co, ohne den wichtigen Geschmacksträger Alkohol nachzuahmen. Ein Hin und Her zwischen Show und Substanz. Bei den Gin-ähnlichen ADS zeigte sich ausserdem, dass sich wenige der Produkte zum Pur-Trinken eignen und dass die Textur des Alkohols schwer nachzuahmen ist, es fehlt das ölig-weiche Mundgefühl. Viele ADS hinterliessen einen wässrigen Eindruck, während das Brandige recht gut durch subtile Schärfe, in der Regel durch die Beigabe von Chili simuliert werden konnte. Mit Tonic ergaben sich dann ebenfalls grosse geschmackliche Unterschiede. Die Zugabe von Tonic ergibt in den meisten Fällen eine aromatische Bitterlimonade, was automatisch zur Frage führt, warum man nicht gleich Bitter Lemon pur trinken könnte, zumal das sehr viel preiswerter wäre!

Verkostungen

Gestartet wurde mit 3 Gläsern, welche blind verkostet werden mussten.  Basis war der Gordon’s Alkoholfrei 0,0%.

Glas 1 mit Zitronengras

Einige Teilnehmer schmeckten darin eine gewisse Süsse, künstliche Aromen von Zitrone und Würze.

Glas 2 mit Zitronenzesten

Zitrone dominiert, wirkt frisch, nicht so süss, nichtssagend, Gin nicht stark spürbar. Schärfe und Säure fehlen. Gurke im Hintergrund.

Glas 3 mit Rosmarin

Dezent würzig, Rosmarin spürbar, frisch, wirkt elegant, aber unauffällig, Gin nur dezent erahnbar. Schärfe und Säure fehlen. Gurke im Hintergrund.

Ergebnis:

Glas 1 war reines Tonic, was meine Frage im obigen Abschnitt unterstützt.

Negroni

Als nächstes Experiment wurde ein klassischer Negroni serviert. Substituiert mit einem alkoholischen Drink und einer alkoholfreien Alternative. Also alkoholischer Gin, Campari und Wermut und die dazu passenden alkoholfreien Alternativen.

Negroni mit Alkohol

Bitter-süss, prägnante Negroninote, schöne Geschmackstiefe, frischer, bitterer Gaumen, pikante Noten von Grapefruit, Zitrus und Wacholder, minim krautig, komplex, ausgewogen, idealer Appetitanreger!

Negroni ohne Alkohol

Interessanter Drink, Gartenkräuter, vielfältiger Geschmack, minime Bitterkeit, wohl vom Bittersirup oder vom Wermut, schöne Säure, gute Balance, aber trotzdem gewöhnungsbedürftig, es fehlt etwas die Harmonie, das Mundgefühl kann aber mit einem richtigen Negroni nicht mithalten, wirkt flach.

Ergebnis:

Eine meiner Meinung nach ernüchternde Bilanz der Mehrheit der Teilnehmerinnen. Die alkoholische Variante war der nichtalkoholischen weit überlegen. Dies bewog Alex dazu, die nachfolgenden Experimente nur noch ausschliesslich in der nichtalkoholischen Version zu mixen und zu servieren.

Rum als alkoholfreie Variante

Nicht unangenehm vor allem in der Nase. Erstaunlich typische Rumnoten für eine Rum Alternative, moussiert zuerst etwas, Rohrzucker, Tonkabohnen, Toffee, Feigen und geröstete Nüsse, frisch, komplex, aber ordentlich sauer.

Amaretto alkoholfrei

Der wohl am besten gelungene alkoholfreie Drink an diesem Abend. Die typischen Noten von Bittermandeln und süssen Mandeln sind problemlos erkennbar. Eine schöne Schärfe, etwas Würze und Vanille zeichnen ihn aus.

Schlussfolgerungen

Der noch junge Trend zu alkoholfreien und Low-ABV-Drinks ist stetig am Wachsen und sie erhalten immer mehr auch die Bedeutung, welche ihnen zusteht. Vor einigen Jahren betrug der Umsatz von Non-Alkoholic Drinks etwa zwei Prozent. Jetzt sind es bereits zehn Prozent, Tendenz steigend. Sicher ist auch, dass diese neue Zielgruppe in Bars nicht einfach einen Fruchtsaft, Limos mit Drachenfrucht, zuckrige Sirups mit billigsten Weinen gestreckt oder einen Fake Cocktail, sondern komplexere und spannendere Drinks, für die sie auch bereit ist, tiefer in die Tasche zu greifen, konsumieren kann. Abends in einer Bar möchte man beispielsweise einen Cocktail, der nicht nur einen guten Geschmack, sondern auch einen coolen Look hat. Dies auch ohne Alkohol. Für die Startups und internationalen Hersteller ist es demzufolge wichtig, das Produkt genau wie seinen alkoholhaltigen Zwilling ernst zu nehmen, also noch verstärkt nach Qualität zu suchen. Dazu kann ich nur noch Janick Planzer zitieren der sagte: «Den Trend geben nicht die Barkeeper oder Kenner vor, sondern die Konsumenten.»

Andi Spichtig

Fotos von 9meadows.com und rebels00.com

Video von 9meadows.com