Cantina Blass, die «Unkonventionellen» aus dem Tessin

Einführung

Das innovative und kreative Ehepaar Alex und Gabriela Blass hat ihren Traum umgesetzt, Wein zu keltern und so die sich ihnen bietende Gelegenheit genutzt, 2019 das Weingut Weingartner in Astano zu kaufen. Es hat seinen Sitz im Convento Vecchio, einem ursprünglichen, klosterartigen Tessinerhaus aus dem 17. Jahrhundert. Später wurde das Anwesen als Patrizierhaus genutzt und in den 1970er-Jahren von der Architektin Tilla Theus und ihrem ehemaligen Professor Alberto Camenzind mit sehr viel Sorgfalt renoviert. Im Gebäude befindet sich auch eine 80m2 grosse Wohnung, die ab Sommer 2019 an Gäste vermietet wird.

Das Leben der Familie mit drei Kindern wurde somit auf den Kopf gestellt, da das Tessin bis anhin eine Feriendestination war und nun ihr Arbeits- und Lebensort geworden ist. Dazu gesellt haben sich auch Önologe Marc Holzwarth und Winzerin Isabel Schedle, welche sich auf eine Annonce hin gemeldet haben. Sie bringen mehr als zehn Jahre Berufserfahrung in der deutschen und französischen Schweiz mit und transferierten ihren Wohnsitz ebenfalls ins Malcantone.

Das Weingut umfasst insgesamt rund 4 Hektaren Rebberge, gelegen an den Hügeln von Sessa, Agno und Bioggio, drei Tessiner Gemeinden unweit von Lugano. Der Untergrund in Sessa ist charakterisiert durch einen Biotit-Plagioklas-Gneis, ein sehr altes Gestein, welches durch eine dünne Schicht jahrtausendealter Gletscherablagerungen überdeckt ist. In Bioggio stehen die Reben auf mehr als 300 Millionen Jahre alten Phylloniten (Gneise mit intensiver tektonischer Überprägung) und Tonschiefern. Im Gegensatz zu Kalkgestein-Regionen weist der Untergrund damit eine sehr breite Mineralität auf.

Der Grossteil der Weinberge ist mit zwischen 25 und 40 Jahre alten Merlot-Trauben bestockt, kleinere Teile mit Cabernet Franc (20%) und Chardonnay (2%). Sie liefern daher auch kleinere Erträge. Die Reben werden so naturnah wie möglich gepflegt. Darum wird selbstverständlich auf Herbizid verzichtet, anspruchsvoll und sehr aufwändig nach Bio-Richtlinien bewirtschaftet und aus Überzeugung so wenig Pflanzenschutzmittel wie möglich verwendet. Die Weine werden meist nach Lagen getrennt eingemaischt und in offenen Eichenbottichen aus Schweizer Eichenholz vergoren. Verwendet werden Bio-Hefen und Schwefel, welche in der Weinbereitung aber äusserst zurückhaltend eingesetzt werden. Nach dem Gärprozess werden alle Weine in Barriques und neu auch in Amphoren zur weiteren Reifung gelagert.

In der Übergangsphase hat die Cantina Blass ihre erste Weinlinie «Passaggio» genannt. Sie steht für die Übergangszeit von Andrea und Michael Weingartner und der Cantina Blass. Die Trauben wurden von Andrea und Michael eingebracht und von den neuen Inhabern in der Flasche oder im Barrique übernommen. Den 2018er und teilweise 2017er Weinen hat aber das neue Team den letzten Schliff gegeben.

Präsentation der neuen «Unkonventionellen» Weinlinie

Der junge, moderne Weinbaubetrieb will sich stetig weiterentwickeln und mit jedem neuen Jahrgang dazulernen. Darum lassen sich die aktiven Inhaber von guten Ideen inspirieren, probieren Neues aus und gehen gerne eigene Wege. Sie beginnen deshalb mit einer neuen, ganz eigenen Linie. Bei den «wilden» Weiss- und Rotweinkreationen 2019 wurde vieles unkonventionell gemacht – sozusagen ein wildes Jahr. Dies beginnt bei der sehr aufwändigen und anspruchsvollen Bewirtschaftung nach Bio-Richtlinien, bis hin, dass keiner dieser Weine bisher Schwefel gesehen hat. Auch die Weinbereitung mit Biohefe, die Anwendung einer Macération carbonique (Beaujolais), sowie die Vergärung und der Ausbau in der Amphore sind nicht 0815. Die Weine wurden zudem streng nach Lagen ausgebaut und loten das Potential der verschiedenen Parzellen nun voll aus.

Einen ersten Überraschungseffekt bilden vor allem auch die 6 unkonventionell gestalteten Etiketten der Weine. Sie geben nicht nur Auskünfte über die gesetzlichen Vorschriften, sondern auch Aufschluss auf den in der Flasche befindlichen Wein. Eben halt alles etwas unkonventioneller!

Idee Vagabondo

Sie besteht darin, dass jedes Jahr mit befreundeten Winzerkolleg/innen ein gemeinsames Weinprojekt auf die Beine gestellt wird. Gestartet wurde im Jahr 2018 mit einer Kooperation und zwei Weinen des Winzerpaares Lutz und Sibylle Heissler vom Weingut This Heissler aus Bad Dürkheim in der Pfalz. Einerseits mit einem kraftvollen Silvaner aus der Lage Dürkheimer Hochbenn und einem hocharomatischen Weissburgunder aus der Lage Dürkheimer Schenklenböhl. So betritt nun als erstes die Etikette mit einem Schaf auf Wanderschaft, einem Weltenbummler die internationale Bühne. Die Cantina Blass ist damit einerseits um zwei Weisse in ihrer Weinpalette und andererseits um eine Freundschaft reicher geworden. Der Vagabondo wird seine Reise fortsetzen. Wohin es den internationalen Weltenbummler dann als nächstes verschlägt, bleibt noch das Geheimnis von Alex Blass.

Vagabondo 2018

Traubensorte Silvaner. Leuchtendes Gelb. In der fruchtbetonten Nase reifer Apfel, weisser Pfirsich, Banane, florale Noten, auch etwas Vanille, minim Zitrus. Klare und puristische Struktur. Am eleganten Gaumen eine animierende Säure, subtile Gerbstoffe, herbfruchtig, mineralisch und mit steinigen Nuancen. Im Nachgeschmack momentan eher etwas kurz, minim bitter, aber mit mit einem frischen, dezenten, saftigen Abgang.

16.5/20

Vagabondo 2018

Traubensorte Weissburgunder. Leuchtendes Goldgelb. Frische Aromen nach reifen Birnen, gelber Melone, exotischen Früchten, Vanille, Bergamotte, Toastbrot und Noten von Hefe und Feuerstein. Charaktervolles, klar strukturiertes Bouquet, nussige Nuancen, Wiesenkräuter, würzig, mineralisch, Röstaromen und etwas Karamell. Gut ausbalancierter und harmonischer, aber momentan etwas eindimensionaler, weicher und geschmeidiger Abgang.

16.5/20

Die beiden nächsten Schafe auf den unkonventionellen Etiketten sind gewissermassen Geschwister, da sie aus dem gleichen Traubengut hergestellt wurden, sich jedoch durch die verschiedenen Pressarten unterscheiden. Sie heissen Vittorio, ein flinker, leichtfüssiger Zielläufer. Er ist der allererste gepresste Rotwein (Premier Jus) des Jahrgangs 2019 mit 11 Volumenprozent Alkohol und Agata, mit 12 Volumenprozent Alkohol und aus dem Herzstück des Pressvorganges, etwas kräftiger. Dies vor allem aufgrund des vielfältigen Früchtekorbes, den sie auf dem Kopf balanciert. Es sind aber zwei leichte und vor allem fruchtige Merlots (Rosso Leggero) aus Sessa.

Vittorio 2019

Traubensorte Merlot. Mittleres Rubinrot mit violetten Reflexen. In der fruchtigen Nase lassen sich Noten von Himbeeren, Erdbeeren, zarte Schokonoten und eine angenehme Würzigkeit ausmachen. Am dichten Gaumen brilliert er mit einem fruchtbetonten Bouquet, einer schönen Struktur, einem feinen Tanningerüst und einer gut integrierten, kernigen Säure. Alles wirkt vielschichtig, beerig, würzig, herb, gehaltvoll, jugendlich und mit einem kräftigen, saftigen Abgang.

17/20

Agata 2019

Traubensorte Merlot. Leuchtendes Kirschen- oder Grenadinerot.  Es spielen in der Nase unglaublich fein ausbalancierte, fruchtige Noten nach reifen Waldbeeren, dunklen Früchten, würzigen – und mineralischen Tönen. Im Gaumen präsentiert sich der Wein mit einer schönen Struktur, einem vollmundigen, fülligen Körper, gut integrierten, saftigen Gerbstoffen und einer überraschenden Geschmeidigkeit. Intensiver, vielschichtiger, harmonischer, langanhaltender Abgang.

17/20

Last but not Least lassen mit den Schafen Lena (Brut) und Leonce (Extra Brut) zwei weitere unkonventionelle Etiketten die Korken knallen. Es handelt sich hier um zwei trübe, ungeschwefelte, etwas andere Schaumweine. Diese zwei neuen Pet-Nats (Pétillant Naturel, auf Deutsch «natürlich sprudelnd», eine traditionelle Schaumweinherstellung) wurden somit ins Leben gerufen.

Lena 2018

Traubensorten Seyval Blanc und Sauvignon Blanc. Helles Orange mit einer minimen, natürlichen Trübung. Ausgeprägte, herbfruchtige Duftnoten nach getrockneten, exotischen Früchten, Aprikosen, saurem Most, einer dezenten Kräuterwürze und einer spürbaren Mineralität. Im Antrunk eine unglaublich angenehme, feinperlige Mousse. Am kräftigen Gaumen hefig, spritzig, duftig, facettenreich, einem gut integrierten Säurebogen und etwas Brioche im Nachhall. Lange haftender, trockener und mineralischer Touch im Abgang.

17/20

Leonce 2018

Traubensorte Merlot. Zartes Erdbeerrosa mit einer minimen Trübung. Angenehm berauschende Düfte nach reifen Waldbeeren und dunklen Früchten, einer herrlichen Perlage und einer schönen Würzigkeit. Gut strukturierter und ausbalancierter Antrunk. Intensiver Gaumen, eleganter Geschmack, herrliches Mundgefühl, viel Fruchtigkeit, Frische und Saftigkeit, angenehme, gut eingebundene Säurestruktur. Komplexer, facettenreicher, runder, fein gearbeiteter Abgang.

17/20

Resümee

Ich war sehr angenehm überrascht über die aussergewöhnliche Fruchtigkeit und Geschmacksintensität der vier neu kreierten Unkonventionellen aus der Cantina Blass. Es lohnt sich wirklich, die etwas gewöhnungsbedürftigen Farben und teilweise die Verschlussarten (Kronkorken, Versiegelung) der Weine auszublenden. So erlebt man eine einzigartige Komplexität und unglaubliche Facetten, die seinesgleichen suchen.

Wichtig ist auch, die den Weinen mitgelieferten Fact Sheets zu studieren. Dort sind alle wissenswerten technischen Angaben über Rebsorten, Lage und Geologie, Vinifikation, Herstellungsmethode und Verkostungsnotizen ausführlich notiert.

Andi Spichtig