Domaine Léandre-Chevalier, Bordeaux, Frankreich

Geheimtipp

Geheimtipp Domaine Léandre-Chevalier (DLC)

 

Mein Weinfreund Adrian van Velsen hat mich bei einem gemeinsam besuchten Anlass auf dieses mir unbekannte Weingut und dessen Weine aufmerksam gemacht und mich zu einer Verkostung eingeladen. So musste ich mich zuerst etwas in die Geschichte dieser faszinierenden Domaine einlesen.

Es gab da einen begnadeten und fanatischen Bordeaux-Winzer mit Namen Dominique Léandre-Chevalier. Bekannt als genialer Tüftler, Visionär und konsequent biologisch und nachhaltig unterwegs. Dieser wurde auch «L’Homme Cheval» genannt, weil er seine Rebberge mit dem Pferd pflügte, damit die Böden locker blieben. Er kelterte stets feine, elegante, burgundische Weine und scherte sich keinen Deut um Appellationen, Klassifikationen und Konventionen. Für ihn interessant war nur die Qualität des Weins. Diese Philosophie führte dazu, dass der Winzer zwar Jahr für Jahr einen Riesenaufwand hatte, aber letztlich stets zu wenig Ertrag erwirtschaften konnte. Trotz allen Anstrengungen konnte ein Konkurs nicht abgewendet werden.

In dieser Situation kam der langjährige Banker, Pferdefreund und passionierte Bordeaux Liebhaber Reto Erdin ins Spiel. Er liess sich in der Schweiz auf dem zweiten Bildungsweg erfolgreich zum Bio-Winzer ausbilden und machte sich erst in der Schweiz und später auch im Bordeaux auf die Suche nach einem eigenen Weingut. An einer Zürcher Weinmesse wurde ihm mitgeteilt, dass das ihm schon lange bekannte Weingut Léandre-Chevalier Konkurs sei. Er setzte sich für ein erstes Gespräch in den nächsten Flieger nach Bordeaux. Nach einigen bürokratischen Hürden beim lokalen Nachlassverwalter hat sich Erdin mit dem Kauf der Domaine Léandre-Chevalier einen lang gehegten Traum erfüllt. Ohne seinen mutigen Einsatz wäre das Weingut wohl zerschlagen und anderweitig verkauft worden und Dominique konnte jetzt wieder in gewohnter Spitzenqualität weiterarbeiten. Das heisst, anstatt einen oder zwei Weine möchte er möglichst viele verschiedene, hochwertige Terroir-Weine keltern. Eigentlich das pure Gegenteil eines Industrieweines und kommerziell wohl auch ziemlich falsch. Aktuell macht Erdin mit seinem Weingut finanziell noch einen Verlust. Alte Schulden des Weinguts mussten beglichen werden und gleichzeitig verlangte das Streben nach höchster Qualität auch nach neuen Investitionen.

Die DLC geht ihren schon vor Jahrzehnten eingeschlagenen Weg in Richtung biologischer und nachhaltiger Weinproduktion konsequent weiter. Zusammen mit der renommierten Stiftung myclimate wurden minutiös sämtliche CO2-Emissionen von der Futterherstellung für die Pferde über Flugkosten, kleinere Korken, dünneres Glas bei den Flaschen, kleinere Zinnkapseln bis zum Transport der abgefüllten Weine erhoben. Diese werden auf dem Weingut konsequent auf der ganzen Wertschöpfungskette reduziert. Die verbleibenden Emissionen werden sodann vollständig durch konkrete Naturschutzprojekte auf dem Weingut selbst (z. B. Anpflanzung von ökologischen wertvollen Bäumen, Büschen und Erstellung von Kleinstrukturen) sowie im In- und Ausland kompensiert, so dass alle DLC-Weine ab dem Jahrgang 2020 das Gütesiegel von myclimate tragen dürfen.

Exakt auf diese Weinprobe am Montag, 9.5.22 kam der Frühling zurück und einige wenige Journalisten hatten die Gelegenheit, mit Reto Erdin diese einzigartigen Weine im lauschigen Garten des Hotels Florhof zu verkosten.

Das Hotel liegt mitten im pulsierenden Stadtkern von Zürich nahe dem Kunsthaus Zürich und der pittoresken Altstadt und ist eine Oase der Ruhe. Früher wurde hier Seide hergestellt. Heute ist das unter Denkmalschutz stehende Patrizierhaus aus dem 18. Jahrhundert Zürichs feines Boutique Hotel. Leider nicht mehr lange. Noch bis Ende Mai wird im Restaurant zum letzten Mal aufgetischt, Ende Juli stellt das Hotel den Betrieb ein. Grund für die Schliessung ist eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Seit 1925 ist das Hotel im Besitz der Familie Beckel, nun kümmert sich eine Erbengemeinschaft um das Haus. Diese hat beschlossen, es zu verkaufen. Über einen neuen Besitzer ist derzeit noch nichts bekannt.

Verkostungsnotizen

2020 Vin d’ Amphore

Sauvignon blanc, ein Naturwein, in der Amphore ausgebaut, Hellgelb aber nicht wirklich orange. Fruchtige Aromen nach exotischen Früchten, Teeblättern, grünen Äpfeln und Garriquekräutern. Am trockenen Gaumen noch leicht adstringierend, frisch, fruchtig, gut strukturiert und mit einem vielschichtigen Abgang.

16.75/20  800 Flaschen  CHF 31.40

2020 Le Séducteur

Sauvignon blanc. In der Nase fruchtige Noten nach Stachelbeeren, weissen Früchten, Zitrus, etwas Vanille und minime Röstaromen. Am trockenen Gaumen viel Kraft, Frucht, Saft, Rasse, Komplexität, Tiefgründigkeit, eine gute Struktur und eine knackige Säure. Cremiger, fast puristischer, präziser, aber langer Abgang.

17/20  600 Flaschen  CHF 22.40

2020 Blanc de Noir Cuve

Eine Rarität, ein weisser Cabernet Sauvignon, der im Stahltank ausgebaut wird. Leuchtendes Goldgelb. Zuerst dezent, dann steigen Noten von exotischen Früchten, hellen Steinfrüchten, grüner Apfel, ein mineralischer Biss und eine etwas kitschige Nuance nach Eiszeltli in die Nase. Am frischen Gaumen gut strukturiert, kühl, knackig, dicht, zarte Gerbstoffe und eine grossartige Säure. Komplexer, reiffruchtiger Abgang.

17/20  840 Flaschen  CHF 17.90

2020 Blanc de Noir Fût

50% Merlot, 50% Cabernet Sauvignon. Ebenso selten die Kombination zweier Rotweinsorten als Weisswein gekeltert und ausgebaut in Barriques. Leuchtendes Goldgelb. In der Nase ein bereits überaus dichtes Aromenmix nach exotischen Früchten, reifen Birnen, Aprikosen, Mandeln und Röstnoten. Am üppigen Gaumen eine zarte Restsüsse, welche die Fruchtigkeit betont, eine komplexe Struktur, eine weiche, aber lebendige Säure und ein feingliedriger, zartduftiger, fülliger und langer Abgang. Bereits ein äusserst trinkfreudiger Wein.

17.25  900 Flaschen  CHF 22.40

2020 Le Flatteur

Blanc de Noir aus 100% Merlot und in neuen Barriques ausgebaut. Goldgelb. Exotische, schwere Düfte nach Ananas, Mango, Litschi, Vanille, Lindenblüten, Karamell und Kräutern. Süsslicher und schmeichlerischer Gaumen ohne Ecken und Kanten, mineralisch, mit einer guten Struktur, einer cremigen Textur, Röstnoten und einem fülligen, intensiv aromatischen, fruchtigen, langen Abgang.

Hier könnte man vielleicht darüber diskutieren, ob der BSA nicht wegelassen und so der Wein dadurch etwas interessanter (weniger rund, mollig und süsslich) wird.

17/20  900 Flaschen  CHF 24.50

2021 Corsaire

100%Cabernet Franc. Neu lanciert. Eine erste Fassprobe. Rubinrot. In der Nase jugendlich fruchtig, fein, elegant, duftet nach reifen Waldbeeren, Himbeeren, Erdbeeren, Kirschen, Bitterschokolade und Lakritze. Am frischen Gaumen eine dichte Struktur, eine gute Fülle, momentan noch etwas viel grüne Peperoni, geschmeidige Tannine, gepaart mit einer erfrischenden Säure und merklich Alkohol. Langer, würziger Abgang. Könnte sich zu einem aussergewöhnlichen Geschmackerlebnis entwickeln.

17/20  600 Flaschen  Preis und Termin noch nicht bekannt

2020 Le Joyau

48% Cabernet Sauvignon, 48% Merlot und 4% Petit Verdot, ausgebaut in neuen Barriques.

Leuchtendes Rubinrot. Momentan noch etwas verschlossenes, aber schon deutlich riechbares Duftspektrum. Düfte nach schwarzen Beeren und Früchten, Gewürzen, Blumen, Röstaromen, Zedernholz und Waldboden. Alles wirkt unglaublich schlank, zart, fein, spielerisch, schwebend, aber auch parfümiert und irgendwie burgundisch. Am präsenten Gaumen schon eine ordentliche Struktur, feine Tannine und eine pikante Säure. Finessenreicher, kräftiger, leichtfüssiger, feinwürziger und langer Abgang. Ein herrlicher, tiefgründiger Jungwein, welcher noch sehr viel Geduld braucht.

17.75/20  6000 Flaschen  CHF 39

Als nächstes nun zwei spannende Weinexperimente mit verschiedenen Pflanzdichten, welche das Weingut anwendet. Ein geniales Experiment von mindestens 11.111 bis zu 33.333 Stöcken pro Hektar. Aber nicht nur die Dichtpflanzung, sondern daraus resultierend auch die sehr dicht am Boden und am Stock befindlichen Trauben. Nur 5-6 Trauben und maximal 400 Gramm pro Weinstock bei 11111 Stöcken, bei den 33333 Stöcken nur 3 Trauben mit 200 Gramm. Dieser geringe Ertrag pro Weinstock bringt eine unglaubliche Dichte, aber keine Wucht, sondern Feinheit. Es muss keine grüne Lese durchgeführt und keine Trauben müssen reduziert werden. Eine einzigartige Ertragsbeschränkung auf natürliche, biologische Art.

2020 11111

100% Merlot. Dunkles Rubinrot. Dichter, kompakter Kern. Eine schon fruchtige Nase mit Aromen von dunklen Beeren wie Brombeeren und Heidelbeeren und Früchten wie Zwetschgen. Zarte Holznoten, etwas Anis, Schwarztee und Würze. Am Gaumen sehr füllig und auskleidend, mit einer grossartigen, schwebenden Eleganz, mit straffen Tanninen und einer guten Säure. Das saubere Finale ist von toller Länge, sehr harmonisch, einnehmend und zugleich kraftvoll.

18/20  1200 Flaschen  CHF 98

2020 33333

100% Merlot. Dunkles Rubinrot. Im Gegensatz zum ersten Merlot ist hier die Nase zuerst noch etwas verhalten oder verschlossen. Sie bietet aber dann etwas später dunkle, reife, schwarzbeerige Frucht wie Cassis und Brombeeren, zart pflaumig, etwas Würziges, an Wacholder erinnernd, feine Holznoten und minim Grafit. Am Gaumen noch sehr einnehmend, mit kompakten Tanninen, welche schön am Gaumen kleben und eine frische und vitale Säure macht das Ganze lebendig. Stoffiger, kompakter, saftiger, eleganter und langer Abgang.

17.75/20  600 Flaschen  CHF 98

Auch unsere beiden letzten verkosteten Weine, diesmal 100% aus der Traubensorte Petit Verdot sind aus Parzellen mit einer Dichtebepflanzung von 33333 Pflanzen pro Hektare und teilweise aus über 65 Jahre alten Reben. Zudem sind die Reben als Exklusivität für den Tricolore kreisförmig angeordnet, um trotz der sehr hohen Dichtebepflanzung eine optimale Besonnung zu erreichen.

Wichtig noch die Unterschiede: der 100% ProVocateur ist veredelt Séléction Massale DLC, «old way» und nicht geklont und der Tricolore ist unveredelt, franc de pied, die Reben sind wurzelecht, non greffé.

2020 100% ProVocateur

100% Petit Verdot. Leuchtend dunkles Rubinrot mit opaker Mitte und violetten Nuancen. Glamouröse Noten von Schwarzen Kirschen, Heidelbeeren, Himbeeren, reife Zwetschgen, Rosen und Sandelholz bereits jetzt in der Nase. Das körperreiche Bouquet erinnert an Erdbeeren und Brombeeren. Am komplexen Gaumen vollmundig, reichhaltig und trotzdem leichtfüssig und schlank. Es umschmeicheln ihn auch Aromen von Wacholder, Eukalyptus, Malz und Pfeffer. So schafft er eine hervorragende Symbiose zwischen Charme und Frische und hat Körper, Fülle und Ausdauer. Die seidigen, geschliffenen Tannine und ein prächtiges Säuregerüst führen zu einem langen, opulenten, sexy und reichen Abgang. Ein richtiger Boutiquewein und für mich wohl einer der brillantesten Rotweine aus dem Bordeaux. Der Wein braucht bis zu seinem Höhepunkt noch sehr viel Zeit und Geduld.

18/20  900 Flaschen  CHF 98

2020 Tricolore

100% Petit Verdot.  Auch hier wieder ein leuchtend dunkles Rubinrot mit opaker Mitte und violetten Nuancen. Zuerst etwas zurückhaltend oder defensiv. Dann ein noch sehr jugendlich wirkendes Konzentrat von dunklen Beeren wie Cassis und Brombeeren und Früchten wie Zwetschgen, Eukalyptus, zarte Minznoten, Zedernholz, Terroirwürze und ein zartes Toasting. Genial offenes, würziges Bouquet. Trotz der üppigen Nase im Gaumen nicht überladen, dicht verwoben, mineralisch, eine frische Säure, zeigt Reserven und eine wunderschöne Balance. Druckvoll, aber äusserst filigran und elegant. Sehr gradlinig und direkt, als wollten die wilden Reben beweisen, was sie aus dem begnadeten Terroir herausholen können. Beweist mit seinem vielschichtigen, lebendigen, äusserst langen, eleganten Abgang seine Top-Form. Der Wein zeigt in dieser filigranen Leichtigkeit eine Länge, die einfach sensationell ist. Er ist noch sehr jung, steckt voller Potential und es gibt nicht den geringsten Grund, sich zu beeilen.

18.25/20  300 Flaschen  CHF 150

Bezugsadresse: www.hommecheval.com

Andi Spichtig